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Februar 22nd, 2023 at 10:07

Unterforderung: Führungskräfte und Teams sind gefragt

Unterforderung und Burnout sollten im Unternehmen gleichbehandelt werden, fordert Philipp Riedel, CEO Avantgarde Experts. Das richtige Matching zwischen Mensch und Aufgabe und ein Bewusstsein für ein korrektes Anforderungslevel können Abhilfe schaffen.

Es wird Zeit, dass wir Unterforderung am Arbeitsplatz genauso ernst nehmen wie Überforderung. Ein Boreout liegt zwar auf der anderen Seite des Spektrums als das Burnout, aber es kann die gleichen, fatalen Konsequenzen haben. Der gesamtwirtschaftliche Schaden in Deutschland durch chronische Langeweile im Job wurde bereits 2018 auf 250 Milliarden Euro geschätzt. Krankenkassen weisen darauf hin, dass ernsthafte Langzeitfolgen wie Schlafstörungen, Panik- und Angstattacken, Stress und Depression durch Boreouts entstehen können. Das Thema ist komplex und muss auf mehreren Ebenen verstanden und gut angegangen zu werden.

Seit 2016 erstellen wir als Personaldienstleister jährlich eine umfragenbasierte Studie zur Arbeitszufriedenheit in Deutschland. Dieses Jahr hat es uns besonders interessiert, inwiefern die einschlägigen Krisen (COVID-19, Klimawandel, Ukraine-Russland-Krieg) das Stimmungsbild der deutschen Erwerbstätigen beeinflusst. Über 1.000 nicht-selbstständig Beschäftigte verschiedenen Geschlechts, Alters und Wohnorts hat YouGov in unserem Auftrag dazu befragt – und herauskam unter anderem, dass ein Großteil von ihnen unglücklich mit ihren Arbeitsinhalten ist.

Chronische Langeweile ist kein junges Problem

Unzufriedenheit, Überempfindlichkeit oder mangelnde Unternehmenshingabe sind leider Stichwörter, die öfter im Gespräch über Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer der jüngeren Generationen fallen. Um es einmal deutlich festzuhalten: Das ist unberechtigt. Nicht nur aus unserer Studie ging hervor, dass die Gen Y und Gen Z gleichermaßen einsatzbereit und begeisterungsfähig sind wie alle anderen. Allerdings kam auch heraus, dass vor allem Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer von 18 bis 34 ihr Potential an Leistung aktuell nicht ausschöpfen können (47 Prozent). Millennials und Gen Z sind dementsprechend nicht schnell überfordert, im Gegenteil: Sie fühlen sich überwiegend unterfordert. Wie kommt das?

Zum einen liegt es an grundsätzlichen Unterschieden zwischen den Generationen. Als erste, digital aufgewachsene Generation ist Gen Y nicht nur informationsbedürftig, sondern bringt ein umfangreiches digitales Gemeinschaftsverständnis auf. Prozesse, die sich automatisieren oder durch digitale Mittel beschleunigen lassen, möchten Millennials nicht manuell erledigen müssen. Leider ist das noch immer oft der Fall – was junge Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer frustriert.

Millennials sind resilient und krisenfest

Groß geworden in globalisierten Strukturen und krisenbedingten Umbrüchen sind Millennials resilient und krisenfest. Sie jedoch zu schonen aufgrund unzutreffender Vorurteile, unterfordert die jungen Arbeitskräfte. Wer oft Veränderungen durchlebt habt, weiß, was durch Wandel und Neuorientierungen entstehen kann. Durch ihre internationale Vernetzung bekommen sie Inspirationen für Lösungen außerhalb der eigenen kulturellen Grenzen. Die krisengeprägte Gen Y hinterfragt und kritisiert deshalb gerne.

Hinzukommt, dass sie EU-weit den höchsten Bildungsgrad im Vergleich mit anderen Generationen aufweist. Wird auf den modernen Blickwinkel der jungen Mitarbeitenden keine Rücksicht genommen, prüfen sie schnell den Sinn ihres Jobs und den Wert ihrer eignen Arbeit. Nicht selten folgt eine rasche Kündigung – und schon bald die nächste Anstellung. Denn die ambitionierten Talente sind gefragt und werden schon in den nächsten fünf Jahren 75 Prozent der weltweiten Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer ausmachen.

Wichtig ist, den Kreislauf im Zusammenspiel der Generationen in einem Unternehmen zu verstehen. Natürlich fließen Werte und Gelerntes der jeweiligen Gruppe durch die tägliche Arbeit langfristig in Unternehmensstrukturen ein: Wo die Babyboomer und Gen X nun in der Führungsetage sitzen, bringen sie ihre Prioritäten unter – achten aber mitunter weniger auf eigene Schwächen. Selbstreflektion und Sensibilisierung für solche Inhalte sind vor allem Stärken der Millennials und Gen Z. Dass aus diesen grundsätzlich verschiedenen Verständnissen ein Konflikt entsteht, ist vorprogrammiert. Am längeren Hebel sitzt zumeist die Person mit Führungsverantwortung. Die sensibilisierte, zukunftsorientierte jüngere Generation verliert – und geht einen weiteren Schritt in Richtung Boreout.

Nicht nur die Jüngeren fühlen sich unterfordert

Was jedoch betont werden muss: Es sind nicht nur die Jüngeren, die sich am Arbeitsplatz unterfordert fühlen. Zwei Drittel aller unserer Befragten fühlen sich wohl mit neuen Herausforderungen. Viele wertschätzen, wenn das Unternehmen ihnen Weiterbildungsmöglichkeiten anbietet und spezifische Fachkenntnisse fördert. Bedauerlicherweise sagten allerdings 35 Prozent, dass ihre Vorgesetzten nur schlecht auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen. Beim Blick auf die andere Seite kam heraus, dass ein Fünftel der Führungskräfte durch die Krisenzeiten überfordert war.

Es bleibt ein Teufelskreis: Viele externe Anforderungen durch aktuelle Krisen nehmen die Aufmerksamkeit von Führungskräften in Anspruch. Die eigentliche Hauptaufgabe, der Blick nach innen zum eigenen Team – gerät ins Hintertreffen und so werden Unter- aber auch Überforderung leicht übersehen.

Qualifikation und Passion müssen zur Aufgabe passen

Das Problem der Unterforderung gab es auch schon früher, wurde in der allgemeinen Wahrnehmung von Überforderung am Arbeitsplatz nur verdrängt. Jetzt hat in den letzten Jahren ersteres stark zugenommen. Abgesehen von den Generationsunterschieden, was sind weitere Gründe dafür? Bei Jobsuche & -vergabe wurde lange zu wenig Wert auf das richtige Matching zwischen Mensch und Aufgabe gelegt – von Kandidatinnen / Kandidaten und Unternehmen.

Auch das hat sich durch die unterschiedliche Prägung der Generationen historisch entwickelt: Mitglieder der Gen X wuchsen in einer Überflussgesellschaft auf und zeigten oftmals Entscheidungsschwäche sowie Perspektivlosigkeit. Seit den 80ern ist daraus ein Trend entstanden, bei dem Menschen einen Job nur annehmen, um nicht arbeitslos zu sein. Das ist nicht nachhaltig. Es ist die Aufgabe der HR- und Management-Abteilung, solchen Fehlern vorzubeugen.

Wenn die Sinnhaftigkeit im Job verloren geht, sind alle im Team gefragt

Was ist zu tun, wenn es einmal so weit gekommen ist, dass sich Mitarbeitende in einem Boreout wiederfinden? Zuerst ist es wichtig, die Symptome und Anzeichen eines Boreouts erkennen zu können. Chronisch gelangweilte Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer finden sich in einem Alltag wieder, der aus wenig stimulierenden Arbeitsinhalten besteht – und das nicht nur für ein paar Tage, sondern über Monate und Jahre. Das kann sich unterschiedlich auf den Mitarbeitenden auswirken: Antriebslosigkeit, Häufung vermeidbarer Fehler, Konzentrationsschwierigkeit etc.

Was für die Augen anderer unsichtbar bleibt ist die sogenannte innere Kündigung. Betroffene Beschäftigte haben mit ihrem Beruf abgeschlossen, vermissen Sinnhaftigkeit und Wert in ihrer Tätigkeit. Sie können sich nicht erklären, wozu sie gewisse Dinge auf gewisse Arten und Weisen erledigen sollen. Solche Gedanken über einen langen Zeitraum mit sich herumzutragen, führt zwangsläufig zu einem minderen Selbstwertgefühl.

Das ist traurig. Es ist auch der schwerwiegendste Teil am Boreout-Syndrom, weil sich die Lage ab hier drastisch verschlechtern kann. Aus diesem Minderwertigkeitsgefühl resultiert oftmals, dass auch Neubewerbungen aussichtslos erscheinen, eine Frührente angestrebt wird und man sich nutzlos auf allen Ebenen des Lebens fühlt.

Es gilt als Team, gemeinsam ein Bewusstsein für ein korrektes Anforderungslevel zu schaffen. Wichtig dabei ist, dass Boreouts und Burnouts gleichbehandelt werden. Es mag vielleicht ehrenhaft und gewinnbringend wirken, dass eine Angestellte / ein Angestellter bis in die Krankheit für ein Unternehmen geschuftet hat – doch das entspricht toxischem Denken. Genauso toxisch wäre es, ein Boreout nicht als das Problem anzuerkennen, weil es mit fehlender Loyalität und Unternehmensbindung assoziiert wird.

Viele Augen und Blickwinkel auf jeden Einzelnen / jede Einzelne

Um Schlimmeres zu verhindern, braucht es viele Augen und Blickwinkel auf jeden Einzelnen / jede Einzelne im Team. Die Hauptverantwortung fällt auf Führungskräfte zurück, die mit einem Mix aus Offenheit, Empathie und Inspiration den Raum für gewinnbringende Entwicklung, ehrliches Interesse an seinen Mitarbeitenden als Menschen, um individuelle Bedürfnisse zu verstehen. So müssen Teamleader für solche psychologischen Krankheiten sensibilisiert werden und Interesse an den Mitarbeitenden als Menschen zeigen.

Ein anderer Teil der Bewältigung ist von den Mitarbeitenden selbst zu tragen. Es lohnt sich mutig zu sein und regelmäßig die eigene Lage zu reflektieren. Was könnte umverteilt werden? Wo liegen meine Interessen wirklich? Um wirklich die passende Person mit der passenden Aufgabe zu verknüpfen, müssen unbedingt die eigenen Bedürfnisse verstanden und diesen nachgegangen werden. Nur so kann ein perfektes Matching überhaupt entstehen.

Quelle

 

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