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Januar 9th, 2023 at 11:30

Schalke-Trainerlegende: „Wer an seinen Mitarbeitern nichts Gutes findet, ist zu bequem, danach zu suchen!“

Norbert Elgert entwickelte Fußballtalente wie Manuel Neuer, Joel Matip oder Leroy Sané. Warum Feedback das Frühstück der Champions ist, was Talente im Beruf zur optimalen Entwicklung brauchen und was er von aufgeblasenen Ego-Chefs hält, verrät er hier.

Als U-19 Trainer hast du in den vergangenen 25 Jahren viele junge, heute zum Teil weltbekannte Menschen auf dem Karriereweg begleitet. An welchen Eigenschaften erkennt man herausragende Talente?

Norbert Elgert: Talent ist eine wichtige Voraussetzung, aber auch Talent ist ein Muskel der, um zu wachsen, jeden Tag intensiv trainiert werden muss. Großen Talenten gelingt es, Rückschläge und Schwierigkeiten zu überwinden und zu meistern. Fußballerische Begabung stellt dich nur in die Tür aber erst Eigenschaften wie Einstellung, Wille, Durchhaltevermögen, Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft über einen langen Zeitraum bringen dich durch diese Tür hindurch.

Kann man mangelndes Talent mit anderen Fähigkeiten oder besonders viel Fleiß ausgleichen?

Norbert Elgert: Ohne Fleiß, Ehrgeiz, Disziplin und eine stark ausgeprägte intrinsische Motivation erreicht man gar nichts. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der mit den Händen in der Hosentasche auf der Erfolgsleiter bis ganz nach oben gekommen ist. Es ist eine Tatsache, dass sowohl im Leistungssport als auch im Berufsleben vermeintliche Überflieger mit schwacher Einstellung häufig überholt werden von durchschnittlichen Talenten mit maximaler Einstellung.

Als du den späteren Nationaltorhüter Manuel Neuer erstmalig auf dem Platz gesehen hast – ahntest du da schon, was alles in ihm steckt?

Norbert Elgert: Sein Potenzial war schon damals nicht zu übersehen, aber erahnen und prognostizieren kannst du so einen Erfolgsweg und so eine Weltkarriere natürlich nicht.

Was hat er anders gemacht als andere?

Norbert Elgert: Neben seinem torwartspezifischen Talent waren seine herausragenden Feldspielerqualitäten früh erkennbar. Er hätte auch als Feldspieler Profi werden können. Extrem auffällig war seine sprichwörtliche stoische Ruhe, seine Gelassenheit gepaart mit großer Spielfreude. Überdruck hat er sich bei großem Ehrgeiz schon damals nicht gemacht. Er war und ist immer hoch motiviert, ganzheitlich extrem belastbar und stressresistent.

Im Fußball wie auch in der Arbeitswelt ist es wichtig, dass es ein funktionierendes Team gibt. Welche Rolle spielt dabei Vertrauen und wie stellt man das als Trainer oder Chef her?

Norbert Elgert: Da, wo Misstrauen und Zwietracht herrschen, kann es meiner Erfahrung nach keine Spitzenleistung und Top-Resultate geben. Man muss sich in der Arbeitswelt und/oder auf dem Spielfeld aufeinander verlassen können. Individuelle Fehler sind gemeinsame Fehler. In einem intakten und erfolgreichen Team gehört Vertrauen zu den Kernwerten. Für einen Coach/Chef ist es deshalb von größter Bedeutung, als Vorbild voranzugehen. Sinnbildlich: Wenn der Chef immer wieder betont, dass alle in einem Boot sitzen, darf er nicht von der Yacht aus seinen im Beiboot rudernden Mitarbeitern mit dem Champagnerglas zuprosten.

Man muss sich aufeinander verlassen können. Individuelle Fehler sind gemeinsame Fehler.

Norbert Elgert

Nun gibt es sehr unterschiedliche Charaktere – darunter auch große Egos. Wie bildet man daraus eine funktionierende Einheit?

Norbert Elgert: Im Profifußball wie in der Arbeitswelt gibt es aufgeblasene Egos mit wenig Substanz dahinter – aber das ist nicht die Mehrheit. Wichtig ist, deinen Spielern/Mitarbeitern überzeugend zu vermitteln, dass jeder Einzelne deutlich mehr in einem TEAM erreicht. Für mich steht dieses Wort für: Together Everybody Achieves More. Ein guter Leader muss auf zwei Bedürfnisse seiner Mitarbeiter eingehen:

  • Das Bedürfnis, als Einmaligkeit (Individualität) mit allen Talenten, Stärken aber auch Schwächen anerkannt und respektiert zu werden – jeder Mitarbeiter/Mitspieler ist einzigartig.
  • Das Bedürfnis, Teil einer gemeinsamen größeren Sache zu sein, wie beispielsweise das Unternehmen oder Team mit den entsprechenden Firmen- und Teamzielen.

Muss man als Führungskraft auch mal so richtig auf den Tisch hauen und geht das heutzutage überhaupt noch?

Norbert Elgert: Ja, wenn es Sinn macht. Profifußball ist kein Streichelzoo und Führungskräfte im Allgemeinen müssen keinen Popularitätswettbewerb gewinnen. Bei aller Menschlichkeit darf es auch mal richtig knallen. Aber niemals beleidigend, respektlos oder unter der Gürtellinie. Wichtig ist, fair und konstruktiv zu bleiben.

Profifußball ist kein Streichelzoo und Führungskräfte im Allgemeinen müssen keinen Popularitätswettbewerb gewinnen.

Norbert Elgert

Wie hat sich die Feedbackkultur im Vergleich zu früher verändert?

Norbert Elgert: Feedback ist das Frühstück der Champions und zur Leistungssteigerung und Verbesserung unverzichtbar. Zu meiner Fußballprofizeit war das Feedback selten konstruktiv und zielführend. Da brauchte man schon gewaltige Nehmerqualitäten. Damit Feedback aber wirklich Sinn macht und verbessert, muss es erst einmal gelingen, sein Gegenüber zu öffnen. Ich bin ein großer Fan der sogenannten Sandwich-Technik. Bevor ich jemanden konstruktiv kritisiere, sprechen ich zuerst über Stärken und über die Dinge, die gut laufen. Feedback muss ehrlich und klar sein. Immer aufbauend, ermutigend und wertschätzend, niemals einschüchternd und verletzend.

Würdest du sagen, dass die heutige Generation weniger Druck und Kritik aushält als vorherige Generationen? Und wenn ja, woran liegt das?

Norbert Elgert: Die Jugendlichen von heute sind gut drauf und total in Ordnung. Tatsächlich sind viele aber nicht mehr so belastbar und haben weniger Widerstandfähigkeit und Durchhaltevermögen. Da ist der Fußball ein Vergrößerungsglas der Gesellschaft. Ihnen wird es häufig zu leicht gemacht, es wird ihnen zu viel abgenommen. Es müsste bereits in der Schule ein Fach geben, in dem unterrichtet wird, wie man pragmatisch und erfolgreich Probleme löst, Schwierigkeiten überwindet und gestärkt daraus hervor geht. Eltern sollten ihre Kinder bedingungslos lieben, aber es ist verantwortungslos, sie nicht zu fordern.

Feedback ist das Frühstück der Champions.

Norbert Elgert

Hilft es, wenn insgesamt mehr gelobt wird oder braucht es auch eine gewisse Form von Druck, um Bestleistungen zu erzielen?

Norbert Elgert: Ohne Lob und Anerkennung verkümmern wir wie eine Pflanze ohne Wasser. Wer an seinen Mitarbeitern nichts Gutes findet, ist zu bequem, danach zu suchen. Vorgesetzte sollten sich davor hüten, ihren Wahrnehmungsapparat ausschließlich als Fehlersuchprogramm zu nutzen. Meine Jungs müssen lernen, positiv mit Druck umzugehen. Auch durch die öffentliche Wahrnehmung in den Medien ist der Druck im Fußball sehr hoch. Der Spaß an der jeweiligen Aufgabe sollte insgesamt größer sein als der individuell empfundene Druck. Druck im Sinne von positiver Anspannung kann situativ auch hilfreich sein.

Vorgesetzte sollten sich davor hüten, ihren Wahrnehmungsapparat ausschließlich als Fehlersuchprogramm zu nutzen.

Norbert Elgert

Inwiefern braucht es in Teams Querulanten und Andersdenkende, um neue und kreative Wege zu gehen?

Norbert Elgert: Querulanten braucht es gar nicht, aber starke Typen und Andersdenkende. Letztendlich sind es doch diese Menschen, die auf dem Spielfeld oder im Unternehmen handeln, wenn es nicht rund läuft. Sie wehren sich und reißen mit, wenn das Team scheinbar aussichtslos im Rückstand liegt. Für starke Typen braucht es starke Chefs mit gesundem Selbstvertrauen, Charisma und natürlicher Autorität. Durch positive Reibung und konstruktives Diskutieren entstehen Veränderung und Wachstum. Kreative Querköpfe muss man nicht nur zugelassen, sondern explizit fördern.

Haben die Lauten und Extrovertierten tendenziell bessere Chancen auf Erfolg als die Stillen, eher Introvertierten?

Norbert Elgert: Schon Berthold Brecht sagte: „Die im Dunkeln sieht man nicht“. Ich glaube, dass es die Extrovertierten insgesamt leichter haben, zumindest im Fußball. Auf dem Platz muss jeder seine Mitspieler verbal coachen und lautstark positiv anfeuern und unterstützen. Ich bin eher introvertiert und weiß, wie schwer es ist, aus der eigenen Haut herauszukommen. Mir persönlich haben unter anderem Rhetorikseminare im Institut von Dr. Enkelmann in Königstein sehr geholfen.

Die Bereitschaft, das Unternehmen und den Arbeitsplatz zu wechseln, hat bei jungen Leuten stark zugenommen. Ist das im Fußball auch so und wie kann man für mehr Identifikation mit und Bindung an den Verein oder das Unternehmen sorgen?

Norbert Elgert: Das ist im Fußball ähnlich und hängt aus meiner Sicht auch mit mangelnder Widerstandsfähigkeit zusammen. Bei Schwierigkeiten neigen Spieler heute eher dazu, die Flucht zu ergreifen und anderen die Schuld zu geben, anstatt sich den Herausforderungen und dem Kampf zu stellen. Selbstverständlich spielen auch das bessere finanzielle Angebot oder die höhere Attraktivität eines anderen Arbeitgebers/Fußballclubs eine Rolle.

Ehrliche Identifikation und Bindung zum Arbeitgeber entsteht nach wie vor durch gelebte und ehrliche Wertschätzung und offene Kommunikation. Mein Eindruck ist, dass dieses Thema zwar immer wieder betont, in der Praxis jedoch von vielen Firmen nachlässig behandelt wird. In puncto echter Wertschätzung haben viele Unternehmen und Vereine noch großen Nachholbedarf.

Der Bayern-Profi Leroy Sané sagt, du kannst Menschen lesen und findest für jeden die richtige Gebrauchsanweisung. Ist das eine Gabe, die Führungskräfte generell haben sollten?

Norbert Elgert: Leroys positive Worte freuen mich sehr, aber für das Führen von Menschen gibt es keine Gebrauchsanweisung. Führungskräfte brauchen Sozialkompetenz, emotionale Intelligenz, Belastbarkeit und Durchsetzungsvermögen. Aber die für mich wichtigste Eigenschaft ist Empathie, fühlen können, was mein Gegenüber empfindet, nachvollziehen, was ihn oder sie beschäftigt.

In puncto echter Wertschätzung haben viele Unternehmen und Vereine noch großen Nachholbedarf.

Norbert Elgert

Welche konkreten Methoden nutzt du, um die Stressresistenz deiner Spieler zu verbessern?

Norbert Elgert: Stressempfinden ist absolut individuell. Was der eine als Stress empfindet, ist für den anderen eine positive Herausforderung. Meiner Erfahrung nach macht gewinnen wollen stark und gewinnen müssen schwach. Meine Spieler sollen während des Spiels das Ergebnis loslassen und sich darauf fokussieren, mit Freude in jeder Situation ihr Allerbestes zu geben. Wir nutzen aber auch mentale Techniken wie gezielte Autosuggestionen und intelligentes Visualisieren mit der Kino-im-Kopf-Methode.

Autosuggestion bedeutet gezielte Selbstbeeinflussung mit Sätzen wie: „Ich bin heute in Topform“ – oder – „Wenn einer das schafft, bin ich das“. Kino im Kopf bedeutet für Sportler, sich vor dem geistigen Auge vorzustellen, wie es erfolgreich gelingt, Spielsituationen zu lösen und auftauchende Schwierigkeiten zu meistern.

Welche Werte und Tugenden sollten Führungskräfte und Vorbilder unbedingt vorleben?

Norbert Elgert: Ich sage es einmal so: Reputation ist wichtig, aber Charakter ist für eine Führungskraft deutlich wichtiger. Denn Charakter ist das, was, wer und wie du wirklich bist und Reputation nur das, was andere über dich denken und sagen. Mein persönlicher wichtigster Wert ist die Integrität. Integrität heißt für mich, sich trotz seiner Schwächen und Fehler darum zu bemühen, das Richtige zu tun, egal wer dir dabei zuschaut. Und erst recht dann, wenn dir keiner dabei zuschaut.

Quelle

 

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