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Mai 18th, 2022 at 10:33

Verbraucher-Schadensersatz bei Wettbewerbsverstoß: Droht dem Online-Handel eine Klagewelle?

Mit dem New Deal for Consumers der EU wurden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, individuelle Verbraucheransprüche zu schaffen, um Verbraucherrechte einfacher durchsetzen zu können. In Deutschland wird es zu diesem Zweck einen neuen Schadensersatzanspruch im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geben, der einige Besonderheiten mit sich bringt.

Welche Besonderheiten das sind und was der neue Schadensersatzanspruch für den Online-Handel bedeutet, zeigen wir Ihnen in diesem Rechtstipp der Woche.

Bisherige Rechtslage

Sahen sich Verbraucher in der Vergangenheit mit unlauteren Geschäftspraktiken konfrontiert, mussten sie sich auf die allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüche verlassen. Ihnen blieb unter anderem die Möglichkeit der Anfechtung und des Schadensersatzes. In ihren Details wiesen diese Ansprüche jedoch zum Teil Schutzlücken auf.

Beispiel: Vom bürgerlichen Recht nicht vollständig erfasst sind Situationen, in denen psychisch wirkender Zwang ausgeübt wird, Überrumpelungssituationen herbeigeführt werden und Notlagen oder Gefühle ausgenutzt werden, um Verbraucher zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen. Im Lauterkeitsrecht kann ein solches Verhalten hingegen einen Wettbewerbsverstoß bedeuten.

Um die Lücken im BGB zu schließen, steht Verbrauchern in Zukunft ein lauterkeitsrechtlicher Schadensersatzanspruch gegen Unternehmer gemäß § 9 Abs. 2 UWG zu. Daneben sind die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche und auch die deliktischen Haftungsnormen ohne weiteres anwendbar.

Einzigartiger Verbraucheranspruch im UWG

Dass Kundinnen und Kunden gegenüber einem Online-Shop Ansprüche geltend machen, gehört zum Alltag im E-Commerce. Ansprüchen aus dem UWG sehen sich Online-Shops bisher allerdings seltener ausgesetzt und wenn doch, dann meist durch besorgniserregende Abmahnungen und einstweilige Verfügungen.

Grund hierfür ist, dass Verbraucher für den wichtigen Unterlassungsanspruch aus § 8 UWG und bis zum 28.05.2022 auch für den Schadensersatzanspruch nicht anspruchsberechtigt sind.

Zwar dient auch das UWG maßgeblich dem Verbraucherschutz, dieser Schutz soll aber durch den Wettbewerb verwirklicht werden. Anspruchsberechtigt sind im Falle eines Wettbewerbsverstoßes bislang dementsprechend nicht Verbraucher, sondern Mitbewerber und Wirtschafts- sowie Verbraucherverbände.

Vor diesem Hintergrund ist der individuelle Schadensersatzanspruch für Verbraucher nach § 9 Abs. 2 UWG im Lauterkeitsrecht einzigartig.

Droht dem Online-Handel eine Klagewelle?

Damit wirft der Gesetzgeber das Prinzip über Bord, dass im Lauterkeitsrecht nur Wettbewerber Ansprüche geltend machen können. Muss sich der Online-Handel damit auf eine regelrechte Klagewelle vorbereiten?

Dieser Befürchtung stehen die einschränkenden Voraussetzungen des Anspruchs entgegen.

Überblick

  • Verbrauchern wird nicht für jeden Wettbewerbsverstoß Schadensersatz gewährt.
  • Der Verbraucher muss die geschäftlichen Entscheidung gerade wegen der unzulässigen geschäftlichen Handlung des Unternehmers getroffen haben.
  • Schadensersatz setzt immer auch einen Schaden beim Verbraucher voraus, den dieser (vor Gericht) zu beweisen hat.

Nicht jeder Wettbewerbsverstoß führt zu Schadensersatz

Der Schadensersatzanspruch erfasst ausschließlich vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen Vorschriften, die die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL (EG) 2005/29) umsetzen. Damit fällt ein beträchtlicher Teil möglicher Wettbewerbsverstöße aus dem Anwendungsbereich der Norm und kann somit nicht geltend gemacht werden.

Insbesondere kann im Falle des wichtigen § 3a UWG kein Schadensersatz verlangt werden. Dieser regelt nämlich einen Wettbewerbsverstoß für Verstöße gegen eine gesetzliche Norm (z. B. die Preisangabenverordnung oder das Verpackungsgesetz) auf Seiten des Unternehmers.

Zum anderen fallen mit den §§ 4, 6 und 7 UWG unlautere geschäftliche Handlungen, die in erster Linie den Wettbewerb und nicht die Verbraucher schädigen, nicht in den Anwendungsbereich des neuen Schadensersatzanspruchs. Damit wird die Reichweite des Anspruchs eingeschränkt.

Geschäftliche Entscheidung auf Grund des Wettbewerbsverstoßes

Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung ist weit zu verstehen. Es handelt sich um jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er ein Geschäft abschließen, eine Zahlung leisten, eine Ware oder Dienstleistung behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will.

Laut Gesetzesbegründung ist darunter auch schon die Entscheidung des Verbrauchers für eine Anfahrt zum Unternehmer zu verstehen, um ein beworbenes Produkt zu kaufen. Sollte das Produkt als vorrätig beworben werden, obwohl es ausverkauft ist, wären etwaige vergebliche Anfahrtskosten ersatzfähig.

Maßgeblich ist immer, dass die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers gerade auf der unzulässigen geschäftlichen Handlung des Unternehmers beruht. Hierfür ist der Verbraucher beweispflichtig.

Nachweispflicht für Schäden

Probleme können sich für Anspruchssteller in der Praxis auch daraus ergeben, dass sie einen Schaden nachweisen müssen. Eine Beweislastumkehr gibt es in diesem Bereich nicht.

Für den Schaden kommt es grundsätzlich auf eine wirtschaftliche Betrachtung der Vermögenslage vor und nach dem schädigenden Ereignis an. Ist ein Verbraucher bspw. auf Grund einer unlauteren geschäftlichen Handlung eine vertragliche Verpflichtung eingegangen, hat sich seine wirtschaftliche Lage nur dann verschlechtert, wenn die im Vertrag vereinbarte Gegenleistung für ihn keinen Ausgleich für die eigene vertragliche Verpflichtung darstellt.

Und selbst wenn sich beweisen lässt, dass sich die Vermögenslage verschlechtert hat, kann der Verbraucher nicht direkt finanzielle Kompensation verlangen. Denn im deutschen Schadensrecht gilt das Prinzip der Naturalrestitution, was viel komplizierter klingt als es tatsächlich ist. Das bedeutet schlicht, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne die Schädigung stünde.

Beispiel: Ein Verbraucher geht einen Vertrag aufgrund unerwünschter und hartnäckiger Telefonwerbung ein. Die Telefonwerbung stellt einen Verstoß gegen das UWG dar, für den der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 UWG eröffnet ist. Weil der Verbraucher ohne die Telefonwerbung den Vertrag nicht geschlossen hätte kommt es darauf an, ob ihm ein Schaden in Gestalt einer vertraglichen Verpflichtung entstanden ist. Liegt ein Schaden vor, kann sich der Verbraucher ohne Fristsetzung von dem Vertrag lösen.

Schadensersatz bedeutet in dieser Konstellation also nicht zwingend eine finanzielle Kompensation, sondern Vertragsaufhebung. Anspruchsinhaber haben auch kein Wahlrecht. Solange es möglich ist, ist der Schaden im Wege der Naturalrestitution auszugleichen. Erst wenn die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands nicht möglich ist, kommt eine monetäre Kompensation in Betracht.

Ohne Anwalt vor Gericht

Da es dem Gesetzgeber darum geht, Verbrauchern eine effektive und möglichst einfache Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen, weist der Anspruch eine weitere Besonderheit auf. Anders als im übrigen UWG wird der Schadensersatzanspruch streitwertabhängig vor den Amts- oder Landgerichten verhandelt.

Dies stellt für Verbraucher eine erhebliche Erleichterung dar, weil vor den Amtsgerichten (Streitwert bis 5.000 €) kein Anwaltszwang herrscht.

Damit verzichtet der Gesetzgeber darauf, bei lauterkeitsrechtlichen Fragen (wie sonst) auf die bestehenden Kompetenzen der Landgerichte zurückzugreifen.

Unser Tipp

Der neue Verbraucher-Schadensersatzanspruch aus dem UWG tritt am 28.05.2022 in Kraft. Rechtlich bringt der Anspruch einige interessante Besonderheiten mit sich, wobei dessen Anwendungsbereich überschaubar bleibt. Eine Klagewelle müssen Online-Shops also nicht befürchten. Es bleibt viel mehr abzuwarten, ob Kundinnen und Kunden in der Praxis tatsächlich auf diesen zusätzlichen Rechtsbehelf zurückgreifen werden.

Quelle

 

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