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September 3rd, 2020 at 13:09

Urlaub im Risikogebiet: Was mein Arbeitgeber verlangen darf

  • Den Arbeitgeber geht es nichts an, wo ich im Urlaub war? Nicht ganz richtig
  • Darf der Chef einen Coronatest fordern oder Quarantäne mit Urlaub verrechnen?
  • Die neun wichtigsten Dinge, auf die man nun achten muss

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich am Mittwoch der vergangenen Woche (26. August) weit aus dem Fenster gelehnt. Nach den aktuellen Regelungen bekämen Reiserückkehrer aus Risikogebieten bei angeordneter Quarantäne ihren Verdienstausfall erstattet, selbst wenn das Reiseziel bereits vor Reisebeginn als Risikogebiet galt. Bund und Länder haben dagegen am Tag danach gemeinsam beschlossen, dass es keine Entschädigung für den Verdienstausfall durch Quarantäne geben soll, wenn der Reiserückkehrer „sehenden Auges“ in ein Coronarisikogebiet gereist ist. Die entsprechende Gesetzesänderung soll ab Oktober gelten.

Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellen sich in dieser verwirrenden Lage die Frage, welche Regelungen aktuell gelten.

  1. Was passiert, wenn der Arbeitnehmer wissentlich in ein Risikogebiet fährt?

Reist ein Arbeitnehmer bewusst in ein Risikogebiet und kann anschließend wegen seiner Quarantäne nicht arbeiten, kann der Reiseantritt gegebenenfalls eine Verletzung seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Arbeitgeber sein. Ob eine solche Pflichtverletzung arbeitsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann, ist bislang in der Rechtsprechung nicht entschieden und scheint eher unwahrscheinlich. Vielmehr stellt sich die Frage, was mit den Vergütungsansprüchen geschieht.

  1. Was ist ein Risikogebiet?

Abzugrenzen ist das Risikogebiet von dem Gebiet, für das eine Reisewarnung ausgesprochen wurde. Eine Reisewarnung spricht das Auswärtige Amt dann aus, wenn für Reisende eine Gefahr für Leib und Leben droht. Risikogebiete sind hingegen alle Regionen, mit einem erhöhten Risiko einer Coronainfektion. Das Robert-Koch-Institut klassifiziert die Risikogebiete und veröffentlicht die Übersicht unter dieser Adresse.

  1. Muss der Arbeitnehmer in Quarantäne, wenn er aus einem Risikogebiet zurückkehrt?

Ja, in der Regel für zwei Wochen. Das regeln in den Bundesländern die entsprechenden Verordnungen. In Nordrhein-Westfalen ist das zum Beispiel die Coronaeinreiseverordnung (CoronaEinrVO), in Bayern die Einreise-Quarantäneverordnung (EQV). Dort ist festgelegt, dass ein Arbeitnehmer sich nach der Einreise aus einem Risikogebiet unverzüglich in häusliche Unterkunft begeben und darin 14 Tage lang absondern muss. Falls es keine solche Verordnung des Landes gibt, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aus Gründen der Treuepflicht anweisen, dem Betrieb für 14 Tage fern zu bleiben, um die übrige Belegschaft nicht zu gefährden.

  1. Muss der Arbeitgeber das Gehalt weiterzahlen, wenn der Arbeitnehmer nach Reiserückkehr in Quarantäne ist?

Sofern gegen den Arbeitnehmer eine Quarantäne oder ein Tätigkeitsverbot durch individuelle, konkrete behördliche Verfügung verhängt wird, steht ihm eine staatliche Verdienstausfallentschädigung gemäß § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu. Dies hat auch das Bundesgesundheitsministerium in der vergangenen Woche verkündet.

Wenn sich der Arbeitnehmer aber aufgrund einer allgemeinen Verordnung, wie zum Beispiel der Einreiseverordnung, in die häusliche Quarantäne begeben muss, liegt gerade keine konkrete, individuelle behördliche Anordnung vor. Einen Anspruch gemäß § 56 IfSG gibt es daher nicht. Ob der Arbeitnehmer in diesem Fall einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen seinen Arbeitgeber hat, ist in der Rechtsprechung noch nicht entschieden.

Grundsätzlich gilt: Keine Lohnfortzahlung für Arbeitsverhinderungen, die der Arbeitnehmer selbst herbeigeführt hat oder die er hätte vermeiden können. Wer also gezielt Urlaub in einem Risikogebiet macht, nimmt die anschließende Quarantäne „sehenden Auges“ in Kauf. Daher kann er nicht erwarten, dass der Arbeitgeber ihm das Gehalt bezahlt. Ein Lohnfortzahlungsanspruch scheidet danach zumindest dann aus, wenn der Arbeitnehmer trotz anschließender Quarantänepflicht bewusst in das Risikogebiet gereist ist und er nicht im Homeoffice arbeiten kann.

Existiert im betreffenden Bundesland keine Coronaeinreiseverordnung, aber ordnet der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht an, dass der Arbeitnehmer dem Betrieb für 14 Tage fernbleiben soll, so muss er dem Arbeitnehmer das Gehalt weiter bezahlen. Er kann in diesen Fällen aber vom Arbeitnehmer verlangen, dass dieser von zu Hause aus arbeitet, sofern er die technische Ausstattung stellt und die Arbeit im Homeoffice geeignet ist.

Nach meiner Auffassung sind Arbeitnehmer wegen der nicht eindeutigen Rechtslage momentan gut beraten, nicht ohne erforderlichen Anlass wissentlich in Risikogebiete zu reisen, um ihren Vergütungsanspruch nicht zu gefährden.

  1. Darf der Arbeitgeber für die Quarantänezeit den Urlaub kürzen?

Nein, das ist nicht zulässig. Der Arbeitgeber darf die Quarantänetage nicht mit dem Jahresurlaub verrechnen. Der Urlaubsanspruch bleibt trotz Quarantäne unverändert bestehen.

  1. Muss die Krankenversicherung zahlen, wenn der Arbeitnehmer wissentlich in ein Risikogebiet gefahren ist und sich infiziert hat?

Grundsätzlich gilt hier § 52 Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V): „Haben sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich …. zugezogen, kann die Krankenkasse … das Krankengeld … versagen … .“ Die Beweislast liegt bei der Krankenkasse. Ein vergleichender Blick zu den Extremsportarten hilft weiter. Bei denen liegt laut eines Urteils des Bundessozialgerichts regelmäßig nur der Vorsatz zur Selbstgefährdung vor, nicht aber der Vorsatz zur Verletzung. So dürfte es auch bei Reisen in Risikogebiete sein. Niemand reist in ein Risikogebiet, um sich mit dem Virus zu infizieren, er nimmt allenfalls die Gefährdungslage in Kauf. Der Krankenversicherungsschutz wird also in jedem Fall greifen, sodass der Arbeitnehmer im Zweifel das Krankengeld erhält, wenn er sich infiziert hat. Ob ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht, ist wiederum vom Einzelfall abhängig und zumindest dann zweifelhaft, wenn der Arbeitnehmer wissentlich in ein Risikogebiet gereist ist.

  1. Kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer ihm sagt, wohin er fährt?

Der Arbeitnehmer muss zwar keine Auskunft darüber geben, wo genau er Urlaub macht (genaue Stadt, Region, etc.). Er ist jedoch wegen seiner Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber gehalten, diesen zu informieren, wenn er während des Urlaubs ein Risikogebiet aufsucht. Die Frage des Arbeitgebers, ob der Arbeitnehmer in den 14 Tagen vor seiner Rückkehr aus dem Urlaub in einem Risikogebiet war, ist zulässig; der Arbeitnehmer muss sie daher wahrheitsgemäß beantworten.

  1. Kann der Arbeitgeber die Vorlage eines kostenpflichtigen Coronatests nach Reiserückkehr verlangen?

Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer anweisen, der Arbeitsstätte 14 Tage nach der Rückkehr aus dem Risikogebiet fernzubleiben. Ist der Arbeitnehmer wissentlich ins Risikogebiet gereist, trägt er selbst das Vergütungsrisiko (siehe oben). Will er dieses minimieren und früher zur Arbeit kommen, kann der Arbeitgeber dafür einen negativen Coronatest voraussetzen. Den muss der Arbeitnehmer selbst bezahlen. Darüber hinaus kann der Arbeitgeber keine kostenpflichtigen Tests verlangen.

  1. Kann der Arbeitgeber kündigen, wenn der Arbeitnehmer wissentlich in ein Risikogebiet reist?

In Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern genießen die Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate beschäftigt sind, Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis daher nur kündigen, wenn ein wirksamer Kündigungsgrund vorliegt. Infrage kommt ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund, weil der Arbeitnehmer bewusst gegen seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen hat, indem er in ein Risikogebiet gereist ist. Aber selbst wenn das Verhalten als Vertragsverletzung ausgelegt würde, wäre zunächst eine Abmahnung des Arbeitgebers das angemessene Sanktionsmittel. Eine sofortige verhaltensbedingte Kündigung ist unwirksam.

Anmerkung der Autorin: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Artikel die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Quelle

 

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